Am 31. Dezember endet der Gastransitvertrag zwischen der Ukraine und Russland, der den Transport von Erdgas durch die Ukraine in europäische Länder regelt. Diese Entwicklung wirft eine Vielzahl an wirtschaftlichen und geopolitischen Fragen auf, insbesondere für europäische Länder, die noch immer auf russisches Erdgas angewiesen sind. In diesem Artikel werfen wir einen detaillierten Blick auf die Hintergründe, die möglichen Folgen eines Lieferstopps und die Herausforderungen, vor denen die Europäische Union (EU) steht.
Historischer Hintergrund des Gastransits durch die Ukraine
Seit der Sowjetzeit ist die Ukraine ein zentrales Transitland für den russischen Gasexport nach Europa. Die Pipeline Urengoi-Pomary-Uschgorod, die sich durch die Ukraine erstreckt, transportiert seit Jahrzehnten Erdgas aus den sibirischen Gasfeldern nach Westeuropa. Über diese Route fließen große Mengen an Erdgas in Länder wie die Slowakei, Österreich und Ungarn. Im Rahmen des fünfjährigen Abkommens, das zwischen der Ukraine, der EU, Naftogaz und dem russischen Energieriesen Gazprom im Jahr 2019 geschlossen wurde, sind die Gaslieferungen durch die Ukraine rechtlich geregelt. Doch mit dem Auslaufen dieses Vertrags droht nun ein Ende dieser Transitrouten.
Das ablaufende Abkommen ist von großer Bedeutung für Europa, da es eine der letzten funktionierenden Routen für den Transport von russischem Gas auf den Kontinent darstellt. Der Gastransit durch die Ukraine betrug im vergangenen Jahr etwa 15 Milliarden Kubikmeter, was etwa 8 % der gesamten Gaslieferungen aus Russland nach Europa ausmacht. Dies ist ein drastischer Rückgang im Vergleich zu den Mengen, die noch vor wenigen Jahren transportiert wurden.
Die aktuelle Lage und die Bedeutung für die EU
Die Situation hat sich seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine verschärft. Länder wie Deutschland und Frankreich haben erklärt, dass sie kein russisches Gas mehr beziehen werden. Diese Haltung wird jedoch nicht von allen EU-Mitgliedern geteilt. Insbesondere Länder wie Ungarn, die Slowakei und Österreich bleiben weiterhin auf russische Gaslieferungen angewiesen, da alternative Bezugsquellen entweder noch nicht ausreichend erschlossen oder finanziell unattraktiver sind.
Österreich bezieht den Großteil seines Erdgases noch immer aus Russland, und in Ungarn deckt Russland zwei Drittel des Gasverbrauchs. Auch die Slowakei ist stark abhängig und bezieht etwa drei Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr von Gazprom, was etwa zwei Drittel des landesweiten Bedarfs ausmacht. Diese Länder haben daher ein starkes Interesse daran, die Gaslieferungen aus Russland, trotz der geopolitischen Spannungen, aufrechtzuerhalten.
Auswirkungen eines möglichen Lieferstopps
Das Ende des Transitvertrags und ein möglicher Lieferstopp würden diese Länder schwer treffen. Besonders betroffen wären die Verbraucher in der Slowakei, Ungarn und Österreich, deren Energiesicherheit massiv gefährdet wäre. Diese Staaten setzen bereits Maßnahmen um, um alternative Energiequellen zu erschließen, doch diese Maßnahmen sind langfristig angelegt und können kurzfristig keine Lücke schließen.
Die Alternativen, wie etwa Gaslieferungen aus Norwegen, den USA oder Katar, reichen in ihrer Kapazität nicht aus, um den gesamten Bedarf dieser Länder zu decken. Die EU hat zwar bereits Schritte unternommen, um ihre Energieabhängigkeit von Russland zu verringern, aber diese Diversifizierungsmaßnahmen erfordern Zeit, Investitionen und neue Infrastruktur, die noch nicht vollständig verfügbar ist.
Eine mögliche Alternative wäre der Transport von russischem Erdgas über andere Pipelines, wie etwa TurkStream, der durch das Schwarze Meer in die Türkei führt und von dort aus in europäische Länder weitergeleitet werden könnte. Doch die Kapazitäten dieser Route sind begrenzt, und es ist fraglich, ob sie den gesamten Bedarf decken kann.
Preise und wirtschaftliche Folgen
Die Unsicherheit über die zukünftige Energieversorgung hat bereits zu einem Anstieg der Gaspreise in Europa geführt. Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Jahr 2022 erreichten die Gaspreise Rekordhöhen, da die Lieferungen aus Russland stark reduziert wurden. Zwar wird nicht erwartet, dass die Preise erneut in einem solchen Ausmaß ansteigen, da die EU inzwischen ihre Gasreserven besser verwaltet und alternative Lieferquellen erschlossen hat, doch ein gewisser Preisdruck bleibt bestehen.
Besonders für kleinere EU-Staaten ohne Zugang zum Meer, wie Ungarn und die Slowakei, stellt die Diversifizierung der Gasversorgung eine immense Herausforderung dar. Diese Länder benötigen mehr finanzielle Unterstützung von der EU, um ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Der ungarische Premierminister Viktor Orbán hat die EU bereits mehrfach dafür kritisiert, dass sie zwar eine Diversifizierung fordert, aber nicht ausreichend Mittel für den Infrastrukturausbau bereitstellt.
Die geopolitische Dimension: Ein gespaltenes Europa
Die Frage der Gasversorgung spaltet die EU. Während Länder wie Deutschland und Frankreich darauf drängen, die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren, stoßen sie auf den Widerstand der osteuropäischen Länder, die weiterhin auf die günstigen Gaslieferungen aus Russland angewiesen sind. Diese Spannungen könnten sich weiter verschärfen, wenn der Gastransit durch die Ukraine gestoppt wird und keine adäquaten Alternativen zur Verfügung stehen.
Zudem stellt die Situation die Beziehungen innerhalb der EU auf die Probe. Länder wie Ungarn und die Slowakei fordern von Brüssel mehr Unterstützung bei der Erschließung alternativer Energiequellen, während größere Staaten wie Deutschland und Frankreich weiterhin darauf bestehen, dass der geopolitische Preis für die Abhängigkeit von russischem Gas zu hoch sei.
Aserbaidschan als potenzieller Vermittler?
Eine interessante Entwicklung in diesem Kontext ist die Rolle Aserbaidschans. Wie ein namentlich nicht genannter Berater des aserbaidschanischen Präsidenten gegenüber Reuters berichtete, habe sich die EU mit der Bitte an Aserbaidschan gewandt, bei der Vermittlung eines neuen Gastransitabkommens zwischen der Ukraine und Russland zu helfen. Details hierzu sind noch nicht bekannt, doch es wird vermutet, dass Aserbaidschan eine Vermittlerrolle einnehmen könnte, um eine mögliche Eskalation des Gasstreits zu verhindern.
Fazit
Der drohende Lieferstopp von russischem Gas durch die Ukraine hat das Potenzial, die europäische Energiesicherheit erheblich zu beeinträchtigen. Während größere Länder wie Deutschland und Frankreich in der Lage sind, alternative Energiequellen zu erschließen und ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern, sind kleinere osteuropäische Länder wie Ungarn und die Slowakei in einer deutlich prekäreren Lage. Die EU steht vor der Herausforderung, ihre Energiepolitik zu überdenken und gleichzeitig die geopolitischen Spannungen innerhalb der Gemeinschaft zu bewältigen.
Die kommenden Monate werden entscheidend dafür sein, ob es Europa gelingt, die potenziellen Folgen eines Gaslieferstopps abzufedern und gleichzeitig die langfristige Abhängigkeit von russischem Erdgas zu überwinden.
Vergleich der Gasabhängigkeit europäischer Länder von Russland (2023)
Land | Importiertes Gas aus Russland (Mrd. Kubikmeter) | Prozentualer Anteil am Gesamtverbrauch |
---|---|---|
Österreich | 10 | 60 % |
Ungarn | 3 | 67 % |
Slowakei | 3 | 66 % |
Deutschland | 0 | 0 % |
Frankreich | 0 | 0 % |
Quellen
- Reuters, «Gastransitvertrag zwischen Ukraine und Russland läuft aus: Was sind die Folgen für Europa?», abgerufen am 9. Oktober 2024.
- Nachrichtenagentur dpa, «Gasversorgung in Europa: Die aktuelle Situation nach dem Ende der russischen Lieferungen», abgerufen am 9. Oktober 2024.
- Bericht des Europäischen Parlaments zur Energiesicherheit in der EU, veröffentlicht im April 2023.
- Analyse des Instituts für Internationale Energiepolitik, «Die Rolle Russlands in der europäischen Energieversorgung», Juni 2023.
Foto von Wolfgang Weiser auf Unsplash